Mittwoch, den 19. März 2014
Liebe Julia,
Das schöne, sonnig-warme Wetter der letzten Woche holte die Leichtigkeit des Lebens wieder zurück nach Pasewalk. Das machte mich so glücklich, dass ich durch die Stadt lief, grinsend wie ein debiles Eichhörnchen, auf dem Marktplatz die Arme ausbreitete und mich im Kreis drehte, den Blick gen wolkenlosen Himmel gerichtet, nur um mich Sekunden später ein bisschen zu schämen. Aber ich denke, falsche Scham zum richtigen Anlass ist besser als falsche Gram, denn die ist immer am falschen Platz.
Wie eng es in meiner Wohnung ist, weißt du ja. Vielleicht ist es dieser Tatsache geschuldet, dass ich über meinem eigenes Verhalten so verwundert bin.
Nach einem langen Museumstag ging ich im Dunkeln "nach Hause", der Himmel war erhellt vom zunehmenden Mond und die Sterne wie Sommersprossen. Die Apothekenanzeige zeigte 5° und mein MP3-Player rhytmisierte meinen Schritt.
Ich war guter Dinge und die Musik steigerte meine Laune noch zusätzlich. Fast wie von selbst fing ich an zu tanzen. Meine Beine entwickelten eine Selbstständigkeit, die mich überraschte und diese Selbstständigkeit ergriff Besitz von meinem ganzen Körper.
Da stand ich nun an, zeitweise auf der Straße und sang, tanzte. Einfach so. Das brachte mich zum Lachen, denn in Diskos gehe ich nicht, weil sie laut sind und ich in der Öffentlichkeit nicht gerne tanze, aber an der Torgelower Straße überkommt es mich. Es brach sich wohl etwas Bahn, das sich schon länger angestaut hatte.
Dass zu dieser späten Stunde noch ziemlich viele Autos und sogar Spaziergänger unterwegs waren, war mir regelrecht scheißegal.
Ein Auto hupte.
Ein Mannschaftswagen der Polizei fuhr vorbei.
Der Beifahrer schaute komisch.
Alle anderen auch.
Bin ich in dem Moment verrückt(er) geworden? Ich weiß es nicht. Andererseits, welche Option gäbe es denn sonst in dieser Stadt?
Trotzdem. Gerechnet hätte ich mit so etwas nicht.
Am Wochenende habe ich auf Schloss Bröllin an einem Jugend-Kunstworkshop teilgenommen. Hauptsächlich deshalb, weil ich mir die dortigen Abläufe und Anlagen anschauen wollte, um zu überlegen, ob ich die letzten drei FSJ-Monate in Bröllin wohnen möchte. Das wäre eine schöne Abwechslung zu meiner einsamen offiziell-WG-und-doch-nicht-WG-Wohnung. Auf jeden Fall wäre es den Versuch mal wert, denke ich. Mit all den dort lebenden Freiwilligen, Künstlern und Privatpersonen, oftmals noch Jugendgruppen, die sich alle eine Küche und zwei Häuser teilen, ist es eine Lebensform, die ich noch nicht kenne und genau deshalb hat es einen gewissen Reiz. Hier siehst du das Haus, in dem die Küche untergebracht ist. Ohne Heizung, relativ düster, aber mit Kamin, netten Leuten und Gemütlichkeit. Ein Frühstück in warmer Jacke ist schon eine faszinierende Erfahrung...
Eines meiner Ergebnisse aus dem Workshop will ich dir auch noch zeigen. Es schmückt jetzt mein aktuell ziemlich unaufgeräumtes Zimmer. (Acryl auf Holz)
Diesen Montag, genauso wie letzte Woche, habe ich an einer Aktion auf dem Marktplatz teilgenommen, die das Aktionsbündnis "Vorpommern - weltoffen, demokratisch, bunt" organisiert hat. Am Telefon habe ich dir, soweit ich weiß, schon erzählt, dass zur anstehenden Bürgermeisterwahl diesen Sonntag ein NPD-Kandidat zugelassen wurde. Deshalb trafen sich an drei Montagen (das erste Mal habe ich es leider zu spät mitbekommen) die Pasewalker Bürger, um ein Friedenslied zu singen und Blumen niederzulegen. Dies sollte ein Zeichen sein, dass Pasewalk nicht einverstanden ist mit braunem Gedankengut und dass alle Personen, egal woher sie stammen, hier willkommen sind.
Bei diesem dritten Mal kam sogar ein Chor aus der Pasewalker Partnerstadt Police (Polen) inklusive dem Bürgermeister zur Unterstützung und, faszinierenderweise, ziemlich viel Presse. Sogar ein Fernsehteam des ZDF. Ui.
Bei diesem dritten Mal kam sogar ein Chor aus der Pasewalker Partnerstadt Police (Polen) inklusive dem Bürgermeister zur Unterstützung und, faszinierenderweise, ziemlich viel Presse. Sogar ein Fernsehteam des ZDF. Ui.
Ehrlich gesagt, wusste ich nicht so recht, was ich mit meinem Thema "Ich weiß es nicht" anfangen sollte, was allerdings immerhin auch wieder zum Thema passt. Hihi. Eigentlich hätte ich ja das gesamte Wochenende über genug Gelegenheit gehabt, aber du weißt ja: Ideen und Inspirationen folgen selten den Terminvorschlägen des Verstandes. ;-)
Dafür haben sich zwei kleine Stückchen Holperlyrik ergeben, die dem so herrlich optimistischen Post doch direkt mal einen kleinen Dämpfer verpassen. Na ja, was will man machen, zur Zeit wechseln meine Stimmungen nun mal recht schnell. Aber wie besagt ein asiatisches Sprichwort: "Keine Blume vermag hundert Tage zu blühen, kein Mensch vermag tausend Tage glücklich zu sein."
Nun denn.
Mensch
Kennst du die Zukunft?
Weißt du, was wird?
Und wenn es so wäre:
Wärest du weiterhin so unbeirrt
in deinem selbstsichren Schaffen,
in deinem Sprint Richtung Nichts?
Oder liegt gar 'Alles' noch vor dir?
Nicht-wissen - das milde Urteil eines strengen Gerichts.
Frage
Was ist es, das dich sicher macht,
dass dies das wahre Leben ist?
Hast du darüber nachgedacht,
wenn du das Spruchband deiner Meinung hisst?
Was ist es, das dein Wille trägt
auf oft so wackeligem Bein?
Ist, wohin sich all dein Streben legt
ein Stolper- oder Meilenstein?
Warum mit dir selbst so in der Fehde?
Was ist dein Ziel, was dein Begehr?
Große Meinung, große Rede.
Doch wo, letztendlich, kommst du her?
Allzu gedankenschwer will ich nun doch nicht schließen, deshalb möchte ich dir noch einmal sagen, wie schön für mich unser Telefonat vom Sonntag war. Eine Küchengerät-Jam-Session über 940 Kilometer hinweg muss auch erstmal zustande kommen. hihi :-D Nur meine Wohnungsnachbarn fanden mein fröhliches Alurollen-Getute wohl nicht so toll. Trotzdem: Das war es wert. Jetzt ist es eine schöne Erinnerung und gleichzeitig meine Vorfreude auf unser nächstes Telefongetöse.
Ein neues Thema ist natürlich auch noch drin:
Mit Pauken und Trompeten: Musik.
Passt doch, oder? :-D
Die allerliebsten Knuddel-Grüße,
deine Fenja